Hannelore Schröder
"Ob die Mannsbilder Menschen sind oder nicht?"
Gisela Bock: Frauen in der europäischen Geschichte.
Vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
München 2000, 393 S., Euro 24,90
"Europa bauen" heisst die Reihe, in der dieser Band als
fünfzehnter erschienen ist.
Der Herausgeber betont, dass "all diese Essays für jedermann (!) verständlich"
sind.
Vorher haben Autoren schon vierzehn Themen behandelt wie "Europa und seine
Menschen"
- ohne Frauen, die sind keine! Dennoch spricht G. Bock von
"dem neuen Bewusstsein" dieser Männer-Reihe, die "das 'andere'
Geschlecht zu den grossen Themen europäischer Geschichte zählt".
Sollen Leserinnen dankbar dafür sein, dass weibliche Menschen überhaupt
vorkommen? - Auf Platz 15! Als letzte 'Minderheit'?
"Die Aufgabe war, einen Essay zu schreiben
und 'Abschied vom Prinzipiellen'"
zu nehmen, so Bock; "
ich habe mich dadurch verabschiedet, dass im Zentrum
des Buches nicht 'die' Frauen stehen
sondern eine Debatte über
die Frage, was Frauen, Männer, Geschlechter und Menschen überhaupt
sind." - Nur Debatten? All the world is a discourse? Das ist ein postmodernistischer
Ansatz, keine patriarchatskritische Geschichtsschreibung.
G. Bock behandelt fünfhundert Jahre in 6 Kapiteln, benannt nach Zeitpunkten
eines "Streit(s) um die Geschlechter": Sie beginnt mit der Querelle des femmes,
woraus sie eine Querelle des sexes macht, einfach Geschlechterstreit. "Frauen
wie Männer", diese wiederholte Floskel unterstellt, dass sie in der gleichen
Lage sind, nebeneinander, nicht etwa Herrschende und Beherrschte: differenzierende
Analyse scheint überflüssig.
Dieser Streit wird Ende des 18. Jahrhunderts "neu eröffnet": da die Bürger-Patriarchen
in Frankreich alle Frauen von privaten und politischen Männer-Vorrechten
ausschliessen, fordern frühe Feministinnen (Olympe de Gouges) erneut
Bürgerinnenrechte für das weibliche Volk, das der menschlichen Gattung
angehört, nicht der vernunftloser Untermenschen oder Tiere ("femelles",
Rousseau). Bock spricht von "weiblicher citoyenneté", der Vision, die
"an die Seite der männlichen tritt." Seite an Seite? Die eine usurpierte
alle Staatsgewalten und erfand die Guillotine - die Frauenseite war dem Terreur
völlig recht- und machtlos ausgeliefert. Das ist doch wohl zu unterscheiden.
- "Ein dritter Streit um die Geschlechter" findet im 19. Jahrhundert statt.
Erst im 20. Jahrhundert geht es "Vom Sozialen zum Politischen" - als ob alle
bisherige Theorie, Organisation und Praxis von Feministinnen "unpolitisch"
waren.
Bock spricht von "Suffragismus" als einem Diskurs von "gleich weil anders":
"die Geschlechterdifferenz" biegt sie um "zum Vehikel" des Kampfes für
gleiches Frauenwahlrecht. - Im V. Kapitel "Zwischen Extremen", zwischen
Demokratie und Diktatur, "Morden und Ermordetwerden" ist die Zeit von 1900-1950
behandelt. Selbst unter der Nazi-Diktatur waren Frauen "nicht Opfer, sondern
sie waren - ebenso wie die Männer - Opfer, Täter
", behauptet
Bock. Ebenso? Gleichgültig, wer die totalitäre Staatsmacht inne
hat - und wer nicht? Sie will Frauen das gleiche Mass an Verantwortung
und Schuld an den Nazi-Verbrechen aufbürden - ohne Belege und Beweise!
Stattdessen zitiert sie Kirchenvater Augustinus: schon Eva im Paradies sündigte
gleichermassen. Frauen - ewige Sündenböcke?
"Ein neuer Geschlechterstreit" (1948 bis 2000) ist nur kurz und oberflächlich
behandelt, obwohl die jüngsten Quellen leicht greifbar und die Mütter
der Bewegung noch am Leben sind.. Bock wird dreissig Jahren feministischen
Protests, - Selbsthilfe-Organisation, kritische Wissenschaften, Literatur,
Journalismus usf - des Widerstands gegen die restaurierten Patriarchate,
gegen den rüden Antifeminismus von Rechts bis Links nicht gerecht. Sehr
problematisch ist, dass Bock höchst relevante historische Fakten nicht
thematisiert:
- 300 Jahre Folter und Massenmorde durch Verbrennung von Millionen Frauen
seitens der Frauenhasser der christlichen Kirchen in ganz Europa;
- Den Frauen-Massenmord seitens der Bürger des Terror-Regimes von 1793;
- Das kontinuierliche, massenhafte Mütter- und Kindersterben noch im
19. Jahrhundert infolge der Gesetzgebung des Code Napoleon;
- Das Leiden und Sterben von Abermillionen Frauen unter dem Gesetzes-Terror
der Paragraphen 218 f StGB. und der Vergewaltiger-Ehen im 19. und 20. Jahrhundert;
- Die Massen-Vergewaltigungen der Soldaten aller Nationen, besonders der Roten
Armee, im II. Weltkrieg: etwa zwei Millionen vergewaltigte Opfer; 240
000 Mädchen und Frauen sterben;
Frauen-Armut, Erwerbslosigkeit, unbezahlte Hausarbeit, extrem ausgebeutete
Frauen-Lohnarbeit, schwere Körperverletzungen, Vergewaltigungen und Foltern,
Frauenhandel, Prostitution, Inzest und Pornographie, tägliche Mädchen-
und Frauenmorde: die Opfer - und die Täter sind für Bock kein Thema.
Frauenhass und -verachtung, Antifeminismus, die unsäglichen Schändungen
der Menschenrechte weiblicher Menschen - durch Männer sind für sie
kein skandalöses Politikum. Bock verwechselt die Vorrechte des
"superioren" Geschlechts immer noch mit Menschenrechten und Männer mit
der Menschheit.
Ihr Schluss: "im 21. Jahrhundert wird sich die Frage entscheiden, 'ob die
Frauen Menschen sind'". Wirklich? - Ob die Männer Menschen sind
- oder Unmenschen, das ist die entscheidende Frage.
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