Hannelore Schröder
Gräueltaten der Väterherrscher im Haus
Diana E. H. Russell: Behind Closed Doors in White South Africa. Incest Survivors
Tell Their Stories.
New York 1997 (St. Martin's Press)
Diese engagierte Soziologin ist patriarchalen Regimes
ein politisches Ärgernis: sie wurde 1963 in Südafrika verhaftet,
1974 in England, 1990 in den USA. Russell dozierte 22 Jahre lang Women's Studies
und ist Autorin/Herausgeberin von 13 Büchern. 1986 erhielt sie den C.
Wright Mills Award "for outstanding social science research that addresses
an important social issue", i. e. "The Secret Trauma: Incest in the Lives
of Girls and Women". Diese weitverbreiteten, geheimgehaltenen Verbrechen sind
Gegenstand auch dieser Untersuchung. Die Grausamkeiten des Regimes der weissen
Männer gegenüber der schwarzen Bevölkerung sind weltweit bekannt,
völlig unbekannt hingegen sind die Gräueltaten dieser Patriarchen,
die sie an ihren Ehefrauen, Töchtern und anderen weiblichen Verwandten
begehen: Russell will die Geheimhaltung durchbrechen und den Terrorzusammenhang
des Patriarchen-Apartheid-Regimes aufzeigen. (In Südafrika geboren, verliess
sie das Land als Zwanzigjährige, kehrte jedoch mehrmals zurück.)
In den von Männern beherrschten Anti-Apartheidsorganisationen wurde die
Unterjochung von schwarzen und weißen Frauen als triviales Problem verworfen,
allein der Kampf gegen Rassismus galt als politisch, einzig legitim und wichtig;
nicht anders als bei den Linken, weltweit, die Gewaltverbrechen von Männern
an Frauen nicht als sexistisches Politikum begreifen wollen. Die Autorin hingegen
beurteilt die grassierenden Gewalttätigkeiten gegen Frauen/Mädchen
(von Inzest-Vergewaltigung, Schlägen, Auspeitschen, Vergewaltigung bis
zum Frauenmord (femicide)) als System und folglich als politische Verbrechen
von Patriarchen an Frauen.
Da Statistiken die herrschenden Vorurteile kaum erschüttern, läßt
sie Überlebende von Inzest-Verbrechen zu Wort kommen, damit LeserInnen
den Horror endlich begreifen. Die extreme Gewalttätigkeit weisser Afrikaner
im Haus, die autoritäre Überzeugung von Vätern, daß sie
Eigentümer ihrer Kinder und Frauen, also "berechtigt" sind, sie in jeder
Weise zu misshandeln, diese Tatsachen führen zu der Hypothese, daß
ein Zusammenhang besteht "between the patriarchal-cum-racist authoritarian
attitudes and behaviour of many white South African men in the private and
the public domains....that there is a link between these two forms of brutality"
(Research Objectives, p. 3)
Russell konzentriert sich daher auf die Aussagen weisser Inzest-Überlebender,
Töchter jener Väter, die verantwortlich sind für Ideologie
und Praxis der Apartheid: das sind weisse Afrikaner holländischer Herkunft
(nicht englischer). Es waren Händler der Dutch East India Company, die
ab 1652 mit der Kolonisierung begannen.
Mit einigen dieser Töchter zeichnet sie 1991 und 95 Tiefeninterviews
auf. Der permanente Terror über Töchter und Mütter, der darin
zur Sprache kommt, macht die weitverbreitete Meinung, daß weisse südafrikanische
Frauen automatisch an den Privilegien ihrer männlichen Verwandten teilhaben,
höchst fragwürdig (p.7). Die Fakten beweisen vielmehr, daß
weisse Afrikaner-Patriarchen sich durch Gott gegebenes "Recht" ermächtigt
glauben, Frauen in ihrem Haus und schwarze AfrikanerInnen zu beherrschen,
auszubeuten, zu terrorisieren - und zu ermorden: "The Divine Right of the
Father".
Gesetz und Justiz in Südafrika müssen schnellstens radikal reformiert
werden. Vor 1994 waren sie Bastionen des Patriarchats und Rassismus', Machtmittel
in der Hand von überwiegend privilegierten weißen Männern
im Dienste ihrer Interessen.
Ein typisches Beispiel: Weisse Richter verurteilen einen wohlhabenden weissen
Onkel, der seine Nichte und seine zwei Töchter jahrelang vergewaltigt
hatte, lediglich zu einer geringen Geldstrafe. - Solange solche Justizskandale
andauern, solange Inzest-Opfer nicht endlich als Opfer sexistischer Gewaltverbrecher
anerkannt werden (solange diese ihre Verbrechen weiter straflos begehen können),
bleibt Südafrika ein Unrechtsregime für Überlebende. - Ärzte,
Schulen, Kirchenmänner, Sozialarbeiter und Polizei wirken mit an der
Geheimhaltung väterlicher Verbrechen; sie bleiben untätig, setzen
sogar verzweifelt Hilfe suchende Mädchen noch unter Druck, damit sie
weiter über ihr jahrelanges Martyrium schweigen und eine etwaige Anzeige
zurückziehen. Der Schutz der Täter ist vielfach gesichert, Schutz
der Mädchen-Opfer ist dem Regime völlig fremd. Ihr Martyrium beginnt
mitunter schon im Alter von vier oder fünf Jahren! So im Falle von Nida,
deren Vater das fünfjährige kleine Mädchen sexuell attackiert:
"When I was about seven or eight, my father took photographs of me...When
I was about 13, my father said he'd kill my mother if I didn't do it....I
was 15 when he raped me...I fought him but... I didn't have the strenght to
stop him." (p. 13 f). Er prügelt seine Tochter grausam, um sie, wie alle
seine Angehörigen, gefügig zu machen: "My father had a sjambok (Peitsche),
because he needed a weapon to keep the blacks from coming into the yard...When
I was 16, he hit me with it.... ". Da keine Instanz eingreift eskaliert seine
Gewalttätigkeit: das verzweifelte Opfer hat schließlich den Mut,
den Tyrannen mit einem Messer schwer zu verletzen: "It felt so good to stab
him. I'd like to get rid of the devil. I still feel that way...". - Die Täter
sind Väter, Stief- und Großväter, Onkel und Brüder (gefolgt
von Therapeuten). Jahrelang üben sie mit weit überlegener Körperkraft,
Peitsche, Messer, Axt und Schußwaffe ein Schreckensregime über
die Ihren aus: schwerste Körperverletzungen, jahrelange Vergewaltigungen,
Aushungern, Einsperren und aus dem Haus jagen. Die den Opfern systematisch
und willentlich zugefügten Qualen erfüllen die Tatbestände
von körperlichen und seelischen Foltern (verübt an Geißeln,
Gefängnis- oder KZ-Insassen), gemäß der Definition von Amnesty
International (The Impact of Torture, p. 87)).
Russell analysiert jeden Fall sorgfältig, registriert und diskutiert
die katastrophalen psychosomatischen und sozialen Folgen für die Traumatisierten:
Verletzung der Organe, Dissoziation, Isolation, dramatische Verschlechterung
der Schulleistungen, negatives Selbstbild, Selbstanklagen, schwerste Depressionen,
Alpträume, Schlaflosigkeit, Kopf-schmerzen, Abhängigkeit von Psychopharmaka,
bulimia, Nervenzusammenbrüche, mehrfache Selbstmordversuche, später
wiederholte Beziehungen mit gewalttätigen Männern, ("Most Afrikaan
men beat up the women they are involved with", p. 25), gescheiterte Ehen,
Absinken in die Prostitution.
Um Mädchen jahrelang sexueller Sklaverei im Vaterhaus zu unterwerfen,
setzen die Täter ausser nackter Gewalt - bis zu Morddrohungen! Manipulation
und Bestechung ein: sie kaufen sich ihre Tochter oder Enkelin mit Süßigkeiten,
Eis, kleinen "Geschenken", ein hungerndes Kind mit einer Mahlzeit! - Diese
Väter "initiieren ihre kleinen Töchter in die Prostitution", richten
sie ab zur Hure, sind die ersten Käufer, Prostituierer. "I feel like
I'am just a usable commodity for any man...", so ein Inzest-Opfer, dessen
Großvater sie jahrelang dazu abgerichtet hatte.
Mehrere Untersuchungen in den USA belegen, daß eine große Zahl
von Prostituierten, Opfer von Inzest-Vergewaltigung sind: "Incest survivors...
can often tolerate the risky and abusive life of prostitutes more readily
than women without such history. After all, being a prostitute often has much
in common with being an incest victim." (Incest and Prostitution. 112 f).
Gemeinsamkeiten sind: häufige Vergewaltigungen, Körperverletzungen,
Bedrohung mit Schußwaffen, Messern und anderen Waffen, Benutzung zur
Pornographie, Herstellung und Nachahmung, - und höchst gefährdete
Objekte von Mördern und Serienmördern zu sein. (Fast alle Prostituierten
- 88 Prozent! - wollen die Prostitution sofort verlassen: sie brauchen nach
eigenen Angaben dringend eine Berufsausbildung (73 %), einen sicheren Aufenthaltsort
(78 %), Schutz vor Zuhältern (28 %); Farley/Hotaling, 1995) Die
Gräueltaten von Inzest-Verbrechern, Prostituierern und Zuhältern
sind extreme Schändung von Menschenrechten, die politisch bekämpft
werden müssen, nicht noch normalisiert und entkriminalisiert werden dürfen.
Diese systematischen, barbarischen Verbrechen sind Manifestationen von Frauenhass,
der politisch endlich so entschieden bekämpft werden muß
wie Rassenhass, in Südafrika und anderen "Demokratien". (The Realities
of Prostitution, p. 115 f)
"Väterlicher Despotismus im privaten und öffentlichen Leben" - ist
Russells Fazit:
Das Apartheid-Regime der weißen Afrikaner-Patriarchen "is the most extreme
form of anti-black racism ever articulated and systematically implemented...in
the twentieth century;" ihre politische Ideologie ist verquickt mit fanatischem
Glauben an ihr göttliches Erwähltsein zur Despotie über Minderwertige,
verdammt zu Dienstbarkeit. Der Fundamentalismus der Dutch Reformed Church
blieb unter den Afrikanern unvermindert erhalten: sie benutzten die Bibel
"to justify men's 'God given' right to rule over women and to monopolise political
power." Von ihren Frauen fordern sie Ehrerbietung, Gehorsam, Dienste und Opfer,
von ihren Töchtern die Pflicht, ihren Vätern absolut zu gehorchen,
"If you ask him why, you got a double hiding (beating). What he said was law...",
so ein Opfer über ihren Vater. - Eine historische Untersuchung belegt:
"women and children in the patriarchal slave owning families 'were on almost
the same low level as the slaves and servants'".
Die Aussagen der Inzest-Überlebenden bestätigen die Fortdauer der
extremen Gewalt und Tyrannei der Väter im Hause. Ein Stiefvater "starved
his children, humilated and raped his daughters, raped his wife, beat up and
tortured all the members of his family, and repeatedly threatened their lives.
He fashioned his home into a kind of mini-concentration camp."
Die Tyrannei der Apartheid ging Hand in Hand mit der Tyrannei von Männern
über Frauen und Kinder. Die Unterjochung von Frauen als unpolitisch -
"persönlich"- abtun, aber andere Unterdrückung als politisch
bezeichnen, ist unlogisch und sexistisch (p. 168).
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