Hannelore Schröder
Foltern, Vergewaltigungen und Frauenmorde
in memoriam Andrea Dworkin
Diana E. H. Russell: Against Pornography: The Evidence of Harm.
Russell Publications, Berkeley 1994. $ 12.95
Schon seit 1976 gibt es in den USA eine Protestbewegung
gegen Pornographie: ein Snuff-Film
(snuff, auslöschen) zeigte die reale Vergewaltigung, Ermordung und Zerstückelung
einer Frau. Das war das ultime Alarmsignal für die Frauenbewegung, ihre
namhaften Wissenschaftlerinnen und Autorinnen.
- 1968 hatte Stephen Barlay von der Anti-Slavery Society (London) bereits
auf die internationale Eskalation des Menschenhandels zwecks "Sex Slavery"
(Dt. Die Sexhändler, 1970) und Herstellung von Pornographie hingewiesen.
- 1979 dokumentierte Kathleen Barry den "internationalen Notstand" der "Female
Sexual Slavery" (Dt. Sexuelle Versklavung von Frauen, 1983), präzisierte
den Begriff und erarbeitete eine historisch-soziologische Theorie. Sie bezeichnet
Pornographie als "Ideologiey des kulturellen Sadismus'".
- 1980 veröffentlichten Wissenschaftlerinnen diverser Disziplinen, (Susan
Brownmiller, Phyllis Chesler, Susan Griffin) und Publizistinnen (Robin Morgan,
Adrienne Rich, Audre Lorde, Alice Walker, Charlotte Bunch, Gloria Steinem
u. v. a.), zusammen mit Krisis-Zentren und Opfern, Fakten und Erkenntnisse
hinsichtlich des Zusammenhangs von eskalierenden sexuellen Gewaltverbrechen
mit propagierten Greueltaten in pornographischen Massenmedien ("Take back
the Night. Women on Pornography", Hsin. Laura Lederer). Es handelt sich um
die erste Dokumentation dieser neuen Civil Rights-Bewegung, die einen Strom
empirischer und theoretischer Analysen und anhaltende Diskussionen auslöste.
In der BRD bekannt sind: Susan Griffin (Pornography and Silence, 1981), Andrea
Dworkin (Pornography, 1981) und die rechtstheoretischen Schriften der Juristin
Catherine MacKinnon.
- 1982 legte diese, zusammen mit Andrea Dworkin, einen komplexen Gesetzentwurf
vor, dessen erster Teil der "Pornography Victims Protection Act" darstellt.
- 1984 publizierte Edward Donnerstein (Pornography and Sexual Aggression)
empirische Forschungsergebnisse; er trat wiederholt als Experte in öffentlichen
Hearings auf.
"Men Against Rape and Pornography" und die "National Organization For Men
Against Sexism" unterstützen die Anti-Pornography-Bewegung. Nach Jahren
intensiver Aufklärung und Aktionen, z. B. eine Demonstration von
800.000 TeilnehmerInnen in Washington 1986, ist zumindest durchgesetzt, daß
Pornographie juridisch als Frauendiskriminierung anerkannt wird. Das gelang,
obwohl diese Menschenrechts-Bewegung überaus mächtige, frauenfeindliche
Gegner hat: Laissez-faire-Liberale, Sade-Anhänger, Linke, die Justiz
und vor allem die kapitalschweren Bosse der Pornographie-Industrie (Milliarden-Gewinne!)
1992 diskutiert Catherine Itzin das Problem im Kontext von Bürgerrechten
( Pornography: Women, Violence, and Civil Liberties) und Gloria Steinem kritisiert
psychoanalytische AutorInnen: "Man stelle sich vor, in Sades Schriften wären
alle Folterer Weiße, alle Gefolterten Schwarze oder alle Täter
arisch und die Opfer jüdisch. Wäre das akzeptabel?" (What if Freud
were Phyllis. 1994 )
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Die international bekannte Professorin Diana Russell erforscht seit 25 Jahren "The Politics of Rape", "Crimes Against Women", "Rape in Marriage", "Against Sadomasochism", "Sexual Exploitation: Rape, Child Sexual Abuse, Workplace Harassment", "The Secret Trauma: Incest...", "Lives of Courage: Women for a New South Africa", "Femicide: The Politics of Woman Killing" und "Making Violence Sexy" (Pornography). Dieses Buch erscheint im Selbstverlag, da US Verleger nicht bereit sind, die 100 pornographischen Abbildungen, die Russell zwecks Dokumentation unverzichtbar achtet, zu publizieren. (Auch in der BRD ist bisher kein Verleger zu finden.)
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I. Definitionen
Da "Diskussionen über diesen kontroversen Gegenstand
häufig zu verbalem Kampf, völlig losgelöst von der Realität,
ausarten, "konfrontiert Russell das Publikum mit der Realität der Gewalttaten:
Diese Photos vor Augen, dürfte es unmöglich sein, "die schwerwiegenden
wissenschaftlichen Beweise für die Schädlichkeit" noch länger
zu ignorieren, die Augen weiterhin zu verschließen vor der Tatsache,
"dass Pornographie für Frauen gefährlich ist". Da Photo-Dokumente
beweiskräftiger sind als Worte, stellt Russel ihrer Theorie "Pornographie
als Ursache von Vergewaltigung" (Teil 2) Beispiele visueller Pornographie
(Teil 1) voran. Diesen Kausalzusammenhang zu verdeutlichen, ist Russells primäres
Ziel.
Zunächst geht es um präzise Definitionen, da Verteidiger und Apologeten
von Pornographie jeglichen Unterschied zwischen dieser und Erotika "absichtlich
verdunkeln": ohne zu differenzieren nennen sie alles sexuell explizite Material
"Erotika", um kritische Analysen von vornherein zu verwerfen ("Zensur").
Definitorische Differenzierung ist jedoch von entscheidender Relevanz. - Frauen
sind in überwältigendem Ausmaß das "Rohmaterial" der Pornographie,
dennoch geht die Autorin von einer geschlechtsneutralen Definition, die auch
Kinder- und homosexuelle/lesbische Pornographie umfaßt, aus:
"Folglich definiere ich Pornographie als Material, das Sex und/oder die Zurschaustellung
von Genitalien mit Misshandlung und Erniedrigung verbindet, und das
in einer Art und Weise, die solches Verhalten affirmiert, anpreist, entschuldigt
oder ermutigt."
Gegenstand dieser Untersuchung ist "heterosexuelle Pornographie erwachsener
Männer, weil die meiste Pornographie für diesen Markt hergestellt
wird und weil Männer die übergroße Mehrheit der Gewalttäter
gegen Frauen sind". (Allein sechs Zeitschriften haben in den USA ca. 52 Millionen
Leser.)
Heterosexuelle Pornographie ist
"Material, hergestellt für heterosexuelle Männer, in welchem Sex
und/oder die Zurschaustellung von Genitalien mit Mißhandlung oder Erniedrigung
von Frauen verbunden werden, und das in einer Art und Weise, die solches Verhalten
affirmiert, anpreist, entschuldigt oder ermutigt." -
Erotika hingegen definiert Russel als
"sexuell suggestives oder erregendes Material, das frei ist von Sexismus (Frauenhaß
und -verachtung), Rassismus und Homophobie, und alle abgebildeten Menschen
mit Respekt für ihre Menschenwürde behandelt."
Die entscheidenden Kriterien sind also: kein Sexismus, Rassismus und Homophobie,
sondern Respektierung von Menschenrechten. Deren Schändung, alle "Handlungen,
die andere Menschen unterwerfen und ihnen Gewalt zufügen" (124), sind
kennzeichnend für Pornographie - und nicht mit Erotika zu verwechseln.
II. Dokumente tatsächlich verübter Gewaltverbrechen (Auswahl)
Photo 35: eine gefesselte, nackte weiße Frau liegt
(bewußtlos oder tot), mit gespreizten Beinen im Kreis von fünf
nackten schwarzen Männern. Der Begleittext sagt, daß diese Frau
die Ketten-Sklavin dieser Männer ist, die sie vergewaltigt haben.
Photo 71: Eine nackte Frau, embryoartig zusammengefaltet und gefesselt, ist
mit einem Strick durch die Leistenbeugen aufgehängt, den Kopf nach unten,
ihr Mund zugeklebt.
Photo 80: Eine halbnackte, schwarze Frau, Hände auf dem Rücken,
ist an einen Folterstuhl gefesselt, ihre Brüste sind am Ansatz mit Stricken
abgeschnürt. Ein Mann kneift mit einer Zange in ihre Brustwarze. Das
Opfer schreit lauthals.
Photo 89: Eine nackte Frau ist mit gespreizten Beinen auf einen Stuhl gefesselt:
ein Mann vergewaltigt sie mit dem Wasserschlauch eines Boilers, den er einschaltet.
Das Opfer schreit lauthals.
Photo 108: Wahrscheinlich ein großes Stück Menschenhaut: daran
ist mit Sicherheitsnadel eine abgeschnittene Brustwarze befestigt; ferner
ein Stück Haut, in das mit Zigaretten Löcher gebrannt sind; ein
abgeschnittenes äußeres Geschlechtsteil mit Klitoris, befestigt
mit einem Angelhaken; vier Photos von verstümmmelten Frauenleichen sind
mit Rasierklingen auf der Haut festgemacht.
Erotika? Oder Foltern, Vergewaltigung und Mord, exekutiert an lebenden Menschen,
photographiert - und Pornographie genannt?
III. Theorie
Anschließend entwickelt Russell, ausgehend vom
Konzept "Multibler Verursachung", ein "Theoretisches Modell von Pornographie
als Ursache von Vergewaltigung".
Relevante Ursachen sind: "Männliche Sozialisation, sexueller Mißbrauch
im Knabenalter, Anpassungsdruck der Peergruppe, Pornographie-Konsum, Klischees
von Frauen in den Massenmedien" (p. 120 f). Diese bewirken unter Männern
der USA die Tendenz zu Vergewaltigungen:
* "25-60 % sagen selbst aus, daß sie mit einiger Wahrscheinlichkeit
vergewaltigen..., wenn sie nicht gefaßt würden;"
* 25-30 % werden sexuell erregt von gewalttätigen Abbildungen von Vergewaltigung
(der Horror der Opfer, von Beginn bis Ende der Vergewaltigung, ist deutlich
sichtbar)." -
Hinzu kommt der Konsum von Pornographie; daraus ergeben sich insgesamt 4 Hauptfaktoren
(mit 15 Subfaktoren) :
1. Faktor: "Prädisponiert einen Teil der Männer für Vergewaltigungswünsche
oder intensiviert diese;"
2. Faktor: "Unterminiert bei einem Teil der Männer die inneren Hemmungen,
ihre Vergewaltigungswünsche auszuführen;"
3. Faktor: "Unterminiert bei einem Teil der Männer die sozialen Hemmungen,
ihre Vergewaltigungswünsche auszuführen;"
4. Faktor: "Unterminiert bei einem Teil der potentiellen Opfer die Fähigkeiten,
Vergewaltigungen zu vermeiden oder dagegen Widerstand zu leisten;"
Russell verifiziert ihre komplexe Theorie mittels gesicherter empirischer
Daten, u. a. diese:
* "Ein hoher Prozentsatz nicht-inhaftierter Vergewaltiger und Kinderschänder
gibt an, dass Pornographie sie zur Begehung der Verbrechen aufgestachelt hat;
* Ausgesucht normale, gesunde (männliche) Studenten sagen nach nur einer
Konfrontation mit Gewalt-Pornographie aus, daß sie mit erhöhter
Wahrscheinlichkeit eine Frau vergewaltigen werden;
* Ein hoher Prozentsatz (männlicher) Oberschüler und Erwachsener
berichtet (zufolge eines offiziellen Rapports), daß sie innerhalb weniger
Tage imitieren, was sie zuvor in Filmen (freigegeben ab 18) gesehen haben.
* Hunderte von Frauen haben in öffentlichen Hearings ausgesagt, daß
- und in welcher Weise - sie zu Opfern von Pornographie gemacht worden sind;
* 25 % der weiblichen Personen (in einem Pornographie-Versuch in Canada) berichten,
daß sie schwer schockiert wurden durch Aufforderungen (von Männern),
Pornographie zu imitieren;
* Viele Prostituierte berichten von ihren Erfahrungen mit sexuellen Angriffen
im Zusammenhang mit Pornographie;
Die Gesetze sozialen Lernens, die allgemein für Massenmedien gelten,
gelten mit Sicherheit in gleichem, wenn nicht in höherem Masse für
Pornographie.
"Ich (Russell)- und andere - argumentieren dahingehend, daß sexuelle
Erregung und Orgasmus wahrscheinlich als ungewöhnlich kräftige Verstärker
dessen wirken, was die Pornographie propagiert.
Umfangreiche experimentelle Forschungen beweisen, daß der Konsum von
Gewalt-Pornographie zu höheren Raten der Aggression von Männern
gegen Frauen führt." (p.149-50)
Wichtig für die deutsche Situation ist Russells Insistieren auf der Lerntheorie:
"Die Gesetze sozialen
Lernens..., diesbezüglich gibt es heute unter Psychologen einen weitreichenden
Konsens, sind auf alle Massenmedien, einschließlich der pornographischen,
anzuwenden.... 'Wenn sie davon ausgehen, daß ihr Kind von Sesam Straße
das Zählen lernen kann..., dann, das können sie mir glauben, können
Kinder auch lernen, eine Schußwaffe zu gebrauchen'" (Donnerstein, Hearing
1983).
"Folglich ist davon auszugehen, daß Männer ebenso gut lernen können,
wie man vergewaltigt, schlägt, Kinder mißbraucht, foltert und Frauen
erniedrigt," fügt Russell hinzu.
Seit langem ist eindeutig bewiesen, "daß in den vergangenen Jahrzehnten
die Zahl der Vergewaltigungen in den USA dramatisch zugenommen hat, Jahrzehnte,
in denen die Pornographie große Verbreitung fand" (p. 144). Dieser Kausalzusammenhang
ist nicht länger zu leugnen. Die Katharsis-Theorie ist unhaltbar.
P.S. Diese Rezension wurde nach Absprache mit der Redaktion der Zeitschr.
PSYCHE, Frankfurt/M. geschrieben, jedoch derart zusammengestrichen, dass der
Sinn entstellt war: Ich wurde nicht gefragt, ob ich dem Abdruck der zensierten
Version zustimme. Meine Beschwerde bei der Direktorin des S. Freud-Instituts
war - vergeblich!
Dr. Margarete Mitscherlich wurde ein Exemplar zugeschickt mit der Bitte, die
Erkenntnisse der Autorin in der BRD zu verbreiten und den Kampf gegen
diese Verbrechen zu unterstützen. Umsonst.
© 2006-2018 Hannelore Schröder | Sitemap | Datenschutz | | Stand: 01.06.2018