Menschenrechte der Frauen
Verletzung ihrer Menschenrechte
Olympe de Gouges

1789 – 2009
Zweihundertzwanzig Jahre Bürgerinnenrechte
Jean Antoine de Condorcet und Frau Sophie

Über die Zulassung der Frauen zum Bürgerrecht

Die Menschen können sich an die Verletzung ihrer Naturrechte so gewöhnen, dass unter denen, die sie verloren haben, keiner daran denkt, sie zurückzufordern und nicht glaubt, Unrecht erlitten zu haben. - Einige dieser Verletzungen sind sogar den Philosophen und Gesetzgebern entgangen, als sie sich mit grösstem Eifer damit befassten, die Grundrechte der einzelnen Mitglieder des Menschengeschlechts zu etablieren, die sie zur alleinigen Grundlage ihrer politischen Institutionen machen. – Haben sie z. B. nicht alle das Prinzip der Rechtsgleichheit verletzt, als sie ganz einfach die Hälfte des Menschengeschlechts des Rechts beraubten, an der Gesetzgebung teilzunehmen, als sie alle Frauen von Bürgerrechten ausschlossen? – Gibt es einen stärkeren Beweis für die Macht der Gewohnheit sogar über aufgeklärte Männer, als den, dass man sich auf das Prinzip der Rechtsgleichheit da beruft, wo drei- oder vierhundert Männer durch ein absurdes Vorurteil dessen beraubt werden, jedoch schweigt, wo es sich um zwölf Millionen Frauen handelt? – Um zu widerlegen, dass dieser Ausschluss ein Akt der Tyrannei ist, muss man beweisen, dass die Naturrechte der Frauen nicht unbedingt die gleichen sind wie die der Männer, oder dass sie nicht fähig sind, sie auszuüben.

"Sophie de Condorcet – ins Pantheon”
Entwurf einer Installation aus der Serie: Frauen der Revolution, 1988
von Sabine Hoffmann, Stuttgart

Menschenrechte leiten ihre Berechtigung jedoch allein daraus ab, dass Menschen sinnliche Wesen sind, sich moralische Ideen aneignen und anwenden können. Da nun Frauen die gleichen Fähigkeiten aufweisen, haben sie logischwerweise auch die gleichen Rechte. Entweder hat kein Mitglied des Menschengeschlechts wirklich Rechte, oder sie haben alle die gleichen; und diejenigen, die gegen die Rechte von anderen stimmen, mögen sie einer anderen Religion, Hautfarbe oder dem anderen Geschlecht angehören, haben damit ihre Rechte verwirkt.

Es dürfte schwer sein zu beweisen, dass Frauen unfähig sind, das Bürgerrecht auszuüben. Warum soll eine Klasse von Menschen, weil sie schwanger werden können und sich vorübergehend nicht wohl fühlen, nicht Rechte ausüben, die man denjenigen niemals verweigern würde, die jeden Winter unter Gicht leiden…

Angenommen, Männer weisen geistige Überlegenheit auf, die nicht Folge des Unterschieds in der Erziehung ist (was noch lange nicht bewiesen ist, was aber bewiesen werden muss, um Frauen nicht ungerechterweise ihrer Naturrechte zu berauben), so könnte diese Überlegenheit nur in zwei Punkten bestehen: man sagt, dass keine Frau eine wichtige Entdeckung in den Wissenschaften gemacht und sich als Genie in Künsten, in der Literatur etc. ausgewiesen habe, aber zweifellos würde man niemals zulassen, Bürgerrechte nur den Genies zuzugestehen.

Man sagt ausserdem, dass keine Frau das gleiche Spektrum von Kenntnissen und die gleiche Kraft des Verstandes hat wie manche Männer. Aber was folgt daraus anderes, als dass - mit Ausnahme dieser kleinen Gruppe sehr begabter Männer - völlige Gleichheit herrscht zwischen Frauen und dem grossen Rest der Männer. Und wenn man jene kleine Gruppe begabter Männer beiseite lässt, verteilen sich Unterlegenheit und Überlegenheit gleichmässig auf beide Geschlechter. – Da es nun völlig absurd wäre, Bürgerrechte und die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden auf jene überlegene, kleine Gruppe zu beschränken, warum sollte man nicht eher diejenigen Männer, die einer grossen Zahl von Frauen unterlegen sind, ausschliessen – anstelle der Frauen ?

Schliesslich, könnte man sagen, dass der weibliche Geist und das weibliche Herz Züge aufweisen, die sie von der Ausübung ihrer Naturrechte aussperren?

Untersuchen wir zunächst die Tatsachen: Elisabeth von England, Maria Theresia und die zwei Katherinas von Russland haben bewiesen, dass Frauen weder seelische Stärke noch geistiger Mut fehlen. Elisabeth hatte weibliche Schwächen; haben sie ihrer Regierung mehr geschadet als die männlichen Schwächen der Regierung ihres Vaters oder ihres Nachfolgers? Und hatten etwa die Liebhaber einiger Herrscherinnen einen gefährlicheren Einfluss als die Maitressen von Ludwig XIV., dem XV. oder selbst von Heinrich IV.?

Glaubt man etwa nicht, dass Mrs. Macaulay (Letters of Education, London 1790. H. S.) im Unterhaus besser argumentiert hätte als viele Vertreter der englischen Nation? - Hätte sie nicht die Frage der Gewissensfreiheit von einer höheren Warte aus und mit grösserem Verstand behandelt als Pitt? Obwohl sie ebenso begeistert für die Freiheit war wie Mr. Burke es für die Tyrannei sein kann, wäre sie bei der Verteidigung der französischen Verfassung in einen so absurden und abstossenden Wortschwall verfallen wie der, mit dem dieser berühmte Redner sie (die Verfassung) angegriffen hat? - Wären die Bürgerrechte in Frankreich bei den Generalständen (1614) nicht besser von der Adoptivtochter Montaignes (Marie le Jars de Gournay: Gleichheit von Männern und Frauen, Paris 1622. H. S.) verteidigt worden als von dem Ratgeber Courtin, der an Zauberei und Okkultismus glaubte? … Hätte Mme de Châtelet …eine Depeche nicht eben so gut verfasst wie M. Rouille? Und hätte Mme de Lambert …so absurde und barbarische Gesetze gegen Protestanten, Diebe, Verschwörer und Schwarze gemacht, wie Justizminister d’Armenonville? – Wenn man einen Blick auf die Liste der Männer wirft, von denen Frauen regiert werden, dann haben Männer keinen Grund so stolz zu sein.

Frauen sind den Männern in sanften und häuslichen Tugenden überlegen. Sie wissen wie die Männer die Freiheit zu lieben, obwohl sie nicht ihre Privilegien geniessen. Und in Republiken hat man häufig gesehen, wie sie sich für sie geopfert haben: sie haben immer Bürgertugenden bewiesen, wenn der Zufall oder politische Wirren sie auf den Schauplatz geführt haben, von dem sie Hochmut und Tyrannei der Männer bei allen Völkern ferngehalten haben.

Es wird gesagt, dass Frauen trotz Geist, Scharfsinn und Argumentierfähigkeit, die in gleichem Masse entwickelt sind wie bei subtilen Dialektikern, sich doch nie durch das leiten lassen, was man Vernunft nennt. Diese Beobachtung ist falsch: sie folgen zwar nicht der Vernunft der Männer, lassen sich aber durch ihre eigene leiten.

Da ihre Interessen nicht die gleichen sind, und da die gleichen Dinge für sie nicht die gleiche Bedeutung haben wie für uns, woran die Gesetze schuld sind, können sie, ohne dass es ihnen an Vernunft fehlt, sich von anderen Prinzipien leiten lassen und einem anderen Ziel zuneigen.

Es ist ebenso angemessen für eine Frau, sich um ihre äussere Erscheinung zu kümmern, wie es für Demosthenes vernünftig war, seine Stimme und Gestik zu pflegen.

Es wird gesagt, dass Frauen zwar besser, sanfter und sensibler als Männer und weniger den Lastern unterworfen seien, die auf Egoismus und Hartherzigkeit zurückzuführen sind, dass sie aber kein richtiges Gerechtigkeitsgefühl haben, dass sie eher ihrem Gefühl als ihrem Gewissen gehorchen.

Diese Beobachtung ist schon richtiger, aber sie beweist nichts: nicht die Natur, sondern die Erziehung und die soziale Existenz, verursachen diesen Unterschied. Weder die eine noch die andere haben den Frauen beigebracht, was recht und gerecht ist, sondern nur, was sich schickt, sich ziehmt. Ferngehalten von den grossen Geschäften, von allem, was nach rigoroser Rechtsprechung, nach positiven Gesetzen entschieden wird, sind die Dinge, mit denen sie sich befassen, auf die sie Einfluss nehmen, genau die, die sich durch Anstand und Gefühl regeln lassen. Es ist also ungerecht, den Frauen weiterhin die Ausübung ihrer Naturrechte zu verweigern und dafür Gründe anzuführen, die nur deshalb eine gewisse Berechtigung haben, weil sie diese Rechte nicht besitzen.

Wenn man gegen Frauen derartige Begründungen zulässt, müsste man auch den Teil des Volkes des Bürgerrechts berauben, der sich weder Kenntnisse erwerben noch seinen Verstand betätigen kann, weil er pausenlos seiner Arbeit nachgehen muss. Und bald würde man, nach und nach, nur noch die Männer als Bürger anerkennen, die eine Ausbildung in öffentlichem Recht haben. Wenn man solche Bedingungen gelten lässt, müsste man als konsequente Folge auf jede freie Verfassung verzichten. Die Aristokraten haben ganz ähnliche Vorwände zur Begründung oder Entschuldigung vorgebracht. Schon die Etymologie dieses Wortes (aristo-cratie = Herrschaft der besten Männer. H. S.) beweist das.
Man kann als Grund nicht die Abhängigkeit anführen, in der sich die Frauen gegenüber ihren Ehemännern befinden, denn es ist zur gleichen Zeit möglich, diese Tyrannei der Ehegesetze abzuschaffen. Und nie kann eine Ungerechtigkeit dazu dienen, eine weitere zu begehen.

Es stehen also nur noch zwei Einwände zur Debatte. In Wirklichkeit stellen sie der Zulassung der Frauen zu Bürgerrechten keinen anderen Einwand entgegen als den der Nützlichkeit, kein Grund, der ein grundsätzliches Recht aufwiegt. Der entgegengesetzte Einwand, das Argument der Schädlichkeit, hat Tyrannen zu oft als Vorwand und Entschuldigung gedient. Im Namen der Nützlichkeit stöhnen Handel und Industrie in Ketten, bleiben Afrikaner in die Sklaverei verbannt. Im Namen öffentlichen Nutzens hat man die Bastille gefüllt, Zensoren eingesetzt, Geheimprozesse aufrecht erhalten und die Folter verhängt.

Dennoch diskutieren wir diese Einwände, um nichts unbeantwortet zu lassen. Man würde, sagt man, den Einfluss von Frauen auf Männer zu fürchten haben. Wir antworten zunächst, dass dieser Einfluss wie jeder andere sehr viel zweifelhafter im Verborgenen ist als in einer öffentlichen Diskussion, dass der Einfluss, der Frauen eigen sein könnte, falls er sich auf mehr als ein einzelnes Individuum erstreckt, umso schneller vergeht, und dass er nicht von Dauer sein kann, sobald er bekannt ist. Da Frauen bis jetzt in keinem Land gleiche Rechte erreicht haben und deshalb ihr Einfluss nicht weniger existiert, und da ihr Einfluss umso gefährlicher war, je mehr Frauen von den Gesetzen mit Füssen getreten wurden, scheint es doch, dass man nicht viel Vertrauen in dieses Heilmittel haben kann. Ist es nicht im Gegenteil wahrscheinlicher, dass sich dieser Einfluss verringert, wenn Frauen weniger darauf angewiesen sind, ihn auszuüben und wenn er aufhört, ihr einziges Mittel zu sein, sich zu verteidigen und der Unterdrückung zu entgehen?

Wenn Regeln der Höflichkeit (Galanterie) der Mehrzahl der Männer nicht erlauben, in Gesellschaft ihre Meinung gegen eine Frau zu verteidigen, so hat diese Ritterlichkeit mehr mit Hochmut zu tun: man lässt einen Sieg fahren, weil er folgenlos ist. Diese Niederlage ist nicht demütigend, weil sie freiwillig hingenommen wird. Glaubt man im ernst, dass das in einer öffentlichen Diskussion über eine wichtige Angelegenheit genau so wäre? Verbietet es etwa die Höflichkeit, gegen eine Frau zu prozessieren?

Ausserdem sagt man, dieser Wechsel (von Rechtlosigkeit zu Bürgerrechten, H. S. ) widerspricht dem allgemeinen Nutzen, weil er die Frauen von den Arbeiten entfernen würde, die die Natur ihnen scheinbar zugewiesen hat. Dieser Einwand leuchtet mir nicht ein. Welche Art von Verfassung man auch verabschiedet, sicher ist, dass im gegenwärtigen Zustand der europäischen Entwicklung es nur eine sehr kleine Zahl von Bürgern gibt, die sich den öffentlichen Aufgaben widmen können. Man würde Frauen ebensowenig aus den Haushalten holen, wie man Bauern von ihren Pflügen und Handwerker aus ihren Werkstätten entfernt. In den reicheren Ständen sehen wir nirgends, dass Frauen sich den häuslichen Arbeiten so andauernd widmen, dass man fürchten muss, sie davon wegzuziehen; und eine ernsthafte Beschäftigung entfernte sie davon viel weniger als die oberflächlichen Vergnügungen, zu denen sie Langeweile und schlechte Erziehung verdammen.

Der Hauptgrund für diese Furcht ist die Vorstellung, dass jeder Mensch, dem es erlaubt ist, Bürgerrechte wahrzunehmen, an nichts anderes als ans Regieren denkt, was bis zu einen gewissen Grad wahr sein kann zu einem Zeitpunkt, da sich eine Verfassung etabliert. Aber diese Bewegung wird nicht von Dauer sein. Also darf man nicht glauben, dass Frauen, weil sie Mitglieder der Nationalversammlung werden können, gleich Kinder, Haushalt und Nadel aufgeben. Sie wären als Bürgerinnen besser geeignet, ihre Kinder zu erziehen, Menschen zu bilden.

Gewiss stillen Frauen ihre Kinder, versorgen sie in den ersten Lebensjahren. Durch diese Arbeiten ans Haus gebunden, schwächer als Männer, ist es notwendig, dass sie ein zurückgezogeneres häusliches Leben führen. Frauen desselben Standes wie Männer wären also durch ihre Situation gezwungen, einige Stunden der Pflege zu opfern….aber das kann keine Begründung für ihren gesetzlichen Ausschluss sein.

Der Galanterie (Schmeichelei von “Ehrenmännern”, H. S.) würde diese Veränderung Abbruch tun, doch die häuslichen Sitten würden durch die Rechtsgleichheit der Frauen an Boden gewinnen – wie in jedem anderen Falle.

Bis heute haben alle bekannten Völker wilde oder korrupte Stitten. Ich kenne keine Ausnahme als die der Amerikaner der Vereinigten Staaten, die in kleiner Zahl über ein grosses Territorium verstreut sind. Bis jetzt besteht bei allen Völkern gesetzliche Ungleichheit zwischen Männern und Frauen. Und es ist nicht schwer zu beweisen, dass bei diesen beiden Erscheinungen, der gesetzlichen Ungleichheit und der korrupten Sitten, die gleich stark verbreitet sind, das zweite eines der Hauptursachen für das erstere ist. Denn diese Ungleichheit der Rechte führt notwendig zur Korruption und ist deren häufigste Ursache, wenn nicht sogar die einzige.
Ich bitte darum, dass man diese Gründe in anderem als spöttischen und deklamatorischen Ton widerlegt; dass man mir vor allem einen natürlichen Unterschied zwischen Männern und Frau aufzeigt, der ihren Ausschluss von Bürgerrechten legitimieren könnte.

Über die Rechtsgleichheit aller Männer in unserer neuen Verfassung hat es erhabene Reden und unendlich viele Witzeleien gegeben; aber bis heute hat noch niemand einen einzigen Grund dagegen vorbringen können. Und das liegt nicht an mangelndem Talent oder Eifer. Ich möchte glauben, dass es mit der Rechtsgleichheit zwischen beiden Geschlechtern genau so sein wird.

Es ist seltsam genug, dass man in vielen Ländern Frauen für unfähig hält, ein öffentliches Amt zu bekleiden, nicht aber, den Königsthron zu besteigen; dass in Frankreich eine Frau Regentin, aber nicht Modehändlerin sein konnte. Und dass man schliesslich in Wahlversammlungen …im Namen eines Lehens etwas gewährte (Ausnahme-Wahlrecht für Witwen, wenn kein männlicher Erbe aufgeboten werden konnte, H. S.), was man im Namen des Naturrechts verweigert. Mehrere unserer adligen Abgeordneten verdanken es diesen Frauen, dass sie unter den Repräsentanten der Nation weilen…..

Deutsche Erstveröffentlichung
in “Die Frau ist frei geboren”. Band I.. Hsin. H. Schröder. München 1979.

Copyright 2009: Hannelore Schröder, Leipzig

 

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