Olympe de Gouges
Montauban 7. 5. 1748 3. 11. 1793 Paris
Mutter der Menschenrechte für weibliche Menschen
"Mann, ist du imstande gerecht zu sein? Es ist eine Frau,
die dir diese Frage stellt
Wer hat dir die souveräne Macht verliehen, mein Geschlecht zu unterdrücken?"
Mme de Gouges, Paris 1791
Von zeitgenössischen Schreiberlingen bösartig diffamiert, von "revolutionären
Republikanern" hingerichtet, von Geschichtsschreibern aus "der Geschichte"
eliminiert, wurde Olympe de Gouges in den 1970-er Jahren von internationalen
feministischen Wissenschaftlerinnen wiederentdeckt.
Sie erkannten den einmaligen feministisch-politischenen Wert der "Erklärung
der Rechte der Frau und Bürgerin" (1791), die seit diesem Jahr nicht
mehr publiziert worden ist. Sie sorgten für Übersetzungen, Veröffentlichungen
und wissenschaftliche Bearbeitung im Kontext patriarchatskritischer Forschungen.
Diese totgeschwiegene radikal-feministische Proklamation ist ein historisches
Dokument ersten Ranges, deren universal humane, radikal-demokratische Grundsätze
von wirklich universalen Menschenrechten selbst nach über zweihundert
Jahren eine höchst aktuelle, brisante Realutopie darstellen.
(Ich habe sie 1977 zum ersten Mal in Deutsch veröffentlicht und kommentiert.)
Kenntnis von dieser "Erklärung" weckte das Interesse am Gesamtwerk, politische
Schriften, Theaterstücke, Romane und am Lebenslauf der Verfasserin. Dies
führte endlich zu einigen Neuausgaben und wissenschaftlichen Diskussionen
in Frankreich und international. Eine völlig neue, wissenschaftlich Bewertung
der Autorin und ihrer Werke bahnt sich an und damit die längst überfällige
Rehabilitation einer der bedeutendsten Frauen Europas, die von Politikern
und Historikern so lange unsäglich malträtiert worden ist. -
Die offizielle Verachtung und Misshandlung wuchert fort: 1993, zweihundert
Jahre nach ihrer Ermordung, weigerte sich der Präsident der Republik
noch immer, die "politische Verbrecherin" der ersten Republik zu rehabilitieren:
den Antrag einer Frauen-Initiative, Olympe de Gouges ins Pantheon aufzunehmen,
lehnte er ab.
Der Präfekt von Paris verweigerte der Olympe de Gouges-Stiftung (Amsterdam)
noch 1997, am Todestage von Mme. de Gouges am Ort der Guillotine - Place
de la Concorde - einen Kranz niederzulegen.
Die Ermordete darf nicht geehrt, an das Opfer des Terrors des Patriarchats
nicht erinnert werden. Diese Frau soll der Vergessenheit anheim fallen.
Auf dem Briefpapier des Präfekten steht: "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit"!
Drei Frauen der Stiftung "250. Geburtstag Olympe de Gouges" haben am 7. Mai
1998 in Paris am Hause 20, rue Servandoni eine Gedenktafel angebracht und
mit einer Blumengirlande geschmückt.
Im November 1998 hat die Stiftung auch in ihrer Mutterstadt Montauban,
an ihrem Geburtshause eine Gedenktafel enthüllt. - Im Jahre 2000
wurde Olympe de Gouges zu Ehren eine Gedenktafel in den inneren Kreis des
FRAUEN-GEDENK-LABYRINTHs (Projekt von Dagmar von Garnier, Frankfurt/M.) eingefügt.
Sabine Hoffmann, Bildhauerin/ Malerin:
Olympe de Gouges gewidmet. 1988.
Aus dem Malerbuch "1789/1989: Vergessen - Weiterleben.
Den Frauen der Revolution gewidmet";
Die zwei Tafeln der Declaration des Droits de la Femme et de la Citoyenne'
sind in festlichem Purpurrot gehalten. Entwurfsarbeit (Lithographie).
Foto: Sabine Hoffmann, Stuttgart
Zur Biographie
Marie Gouze wurde am 7. Mai 1748
als eheliche, aber "natürliche" Tochter von Anne-Olympe Gouze und dem
jungen Herrn Jean-Jaques Le Franc, Marquis de Pompignan, in Montauban geboren.
Ihre Mutter, verheiratet mit dem Fleischer Gouze, zog das Mädchen zusammem
mit ihren drei anderen Kindern in bescheidenen Verhältnissen auf. Der
reiche Feudalherr, Eigentümer eines grossen Schlosses in Montauban,
von Ländereien, Dorf und Castel de Pompignan war jeglicher gesetzlicher
Vaterpflicht für seinen "Bastard" enthoben. Der fromme Katholik war nicht
bereit, diese Tochter als sein Kind anzuerkennen oder in irgendeiner Weise
für Unterhalt, Erziehung oder gar eine Mitgift aufzukommen. - Mädchen
generell waren für das Kloster oder frühe Ehen bestimmt.
Angesichts des weitverbreiteten Analphabetismus', besonders weitverbreitet
unter Frauen, und der unglücklichen Familienverhältnisse ist anzunehmen,
dass Marie Gouze in ihrer Kindheit lediglich Grundkenntnisse in Lesen und
Schreiben erwerben konnte. In diesem Landstrich wurde überdies Occitans
gesprochen, das Französisch des Nordens war hier ungebräuchlich.
Als Siebzehnjährige wurde Marie Gouze gegen ihrem Willen mit dem "traiteur"
(Koch, Gastwirt) Aubry verheiratet, der dank ihrer Mitgift eine Gastwirtschaft
eröffnen konnte.
Marie Aubry gebar 1766 ein Kind, Pierre, dessen Vater im gleichen Jahr, wahrscheinlich
bei einer Überschwemmung des Tarn ums Leben kam. Die junge Witwe zog
bald darauf nach Paris, wo Schwester und Schwager sich bereits niedergelassen
hatten. Sie heiratete kein zweites Mal; bekannt ist lediglich eine langjährige
Verbindung mit Jaques Biétrix de Rozière, Erbe eines Privilegs
auf Militärtransporte.
Die Jahre zwischen ihrer Ankunft in Paris (etwa 1768) und dem Zeitpunkt, da
sie ihr erstes Theaterstück bei einer Bühne einreichte (Les Amours
de Chérubin, 1784), nutzte die junge Olympe de Gouges offensichtlich
zu intensivem Selbststudium: der Kultivierung des Französischen durch
Konversation, Lektüre literarischer und politischer Schriften, Theaterbesuche
und schließlich eigener literarischer Versuche.
Dass sie von Kind an der Möglichkeit beraubt war, ihre intellektuellen
Fähigkeiten durch systematische Bildung zu entwickeln, blieb ihr immer
schmerzlich bewusst.
Sie fand Zugang zu gesellschaftlich relativ offenen Kreisen der Frondeur-Opposition
zum Hof und zum ancien régime generell, die sich unter dem Schutz oppositioneller
königlicher Prinzen versammelte. Eine dieser Enklaven war das Palais
Royal, wo der Herzog von Orléans, später Philippe Egalité
genannt, residierte und wo Mme de Gouges zeitweise verkehrte.
Es ist möglich, daß sie hier Louis Sébastian de Mercier
kennenlernte. Gemeinsame literarische und politische Interessen waren das
Fundament ihrer langjährigen Freundschaft: de Mercier war etliche Jahre
- bis zum endgültigen Verbot - Herausgeber des "Journal des Dames" gewesen,
schrieb ebenfalls Theaterstücke und lag jahrelang in heftiger Fehde mit
der Comédie - wie Mme de Gouges.
1785 reichte Olympe de Gouges ihr Stück "Zamore et Mirza" bei der Comédie
Française ein; überaus mutig behandelt sie darin die Sklaverei
in den Kolonien, mit der Folge, daß sie jahrelang in Rankünen und
Verleumdungen verwickelt und sogar in die Bastille abgeführt wird. Es
grenzt an ein Wunder, dass sie freikommt. - Erst im Dezember 1789 hat das
brisante Stück Premiere, die zu einem politischen Krawall ausartet: schleunigst
wird es vom Spielplan abgesetzt.
Von Beginn an ist Mme de Gouges konfrontiert mit Anfeindungen aus diversen
politischen Richtungen, die es vor allem masslos irritiert, daß es eine
"femme auteur" ist, die es wagt, sich mit literarisch seriösen Theaterstücken
politischen Inhalts in die Öffentlichkeit zu begeben. Die Folge davon
ist, dass sie sich nicht ausschließlich ihrer, dennoch erstaunlich vielseitigen
und umfangreichen literarischen Produktion widmen kann, sondern ständig
nach anderen Bühnen suchen und sich gegen Verleumdungen und Schwierigkeiten
ohne Ende zur Wehr setzen muß. Dennoch erscheinen 1788 ihre Werke in
drei Bänden. -
Von nun an, bis zu ihren Tode bleiben ihr nur noch fünf Jahre, verfasst
sie in schneller Folge politische Schriften, in denen sie drängende soziale
Probleme aufgreift und die politischen Kontroversen des krisengeschüttelten
ancien régime, wie die Kämpfe zwischen den Ständen und Faktionen
der Nationalversammlung behandelt. In Adressen und öffentlichen Briefen
an die Constituante, den Convent, die Jakobiner und namhafte Protagonisten
diverser Faktionen macht sie Vorschläge bzw. äussert sie Kritik;
sie ruft Frauen auf zur Rettung des Vaterlandes und wendet sich mit einem
"Brief an das Volk"; eilends schreibt sie über die aktuellen Entwicklungen
und Krisen, eilends druckt und versendet sie ihre Botschaften oder lässt
sie auf Plakaten anschlagen. Olympe de Gouges verfolgt die politischen Ereignisse
mit leidenschaftlichem Engagement: Sie war anwesend in Versaille als die Generalstände
zusammentraten, anwesend an vielen anderen Orten des Zeitgeschehens; sie wohnte
zeitweise in der rue St. Honoré (Haus Nr. 270), wie viele Abgeordnete,
wo der Jakobiner Club tagte, in jener Hauptstraße, die zur Guillotine
führte.
Sie beobachtet und analysiert die turbulenten Begleiterscheinungen der Entstehung
der konstitutionellen Monarchie: in der kurzen Zeit vom August 1789 bis zum
September 1791 bleibt ihr kaum Ruhe zur Ausarbeitung ihrer grundsätzlichen
Kritik an jener "Erklärung der Rechte des Mannes und Bürgers", die
vom "Volkssouverän" zur Grundlage der Verfassung gemacht und dem König
zur Anerkennung und Unterschrift vorgelegt wird.
Ihre elementar feministisch-revolutionäre "Erklärung der Rechte
der Frau und Bürgerin" war noch im Druck, als die bürgerliche Patriarchalverfassung
bereits angenommen und das Vaterland eine konstitutionelle Monarchie geworden
war.
Doch gerade zum Zeitpunkt des politischen Sieges des dritten Standes und damit
der Verfassungsidee von der Rechtsgleichheit aller Männer, ergeht an
die Regierung und die Abgeordneten eine neue, ganz radikale Proklamation von
Freiheits- und Gleichheitsrechten - für das weibliche Volk.
Da "der Souverän" der Familienväter alle Frauen von den Verfassungsrechten
und damit von der "Volkssouveränität" ausgeschließt, nennt
Olympe de Gouges das neue Regime Tyrannei.
Die Autorin fordert von der "Nationalversammlung" im Namen der Mütter,
Töchter und Schwestern der Nation diese ihre Erklärung (privater
und politischer) Bürgerinnenrechte schnellstens zu verabschieden. Sie
verlangt eine neue, universal-egalitäre Verfassung, denn die gerade in
Kraft getretene ist illegitim und nichtig, weil das weibliche Volk nicht vertreten
und folglich an deren Ausarbeitung überhaupt nicht beteiligt war. Die
Souveränität des weiblichen Volkes, dessen Menschen- und Burgerinnenrechte
insgesamt, sind von den neuen Despoten geschändet. Diese rechtsphilosophische
Argumentation ist überaus vernünftig, die daraus resultierenden
Ansprüche namens der unfreien Untertaninnen völlig legitim, doch
die neuen Machthaber können sie ignorieren, da sie Alleininhaber aller
Staatsgewalten sind, wogegen das rechtlose und eigentumslose weibliche Volk
über keinerlei Machtmittel verfügt.
Auch unter dem neuen Regime geht Macht vor Recht. Soweit die regierenden Bürger-Patriarchen
diese Proklamation überhaupt zur Kenntnis nehmen, betrachten sie sie
als unerhörtes Ansinnen, da ihre "heiligen, natürlichen" Privilegien
als unvernünftig und illegitim gebrandmarkt werden.
Es sind die Bürger-Tyrannen der ersten Republik, die diese bürgerrechtlichen
Ansprüche arrogant verwerfen und weibliche Menschen insgesamt mit Kriminellen
und Unmündigen auf eine Stufe stellen. Kritische Stimmen aus der unterdrückten
weiblichen Bevölkerung bringen sie mit wütenden Terror-Massregeln
zum Schweigen.
Das Sondergericht des "Revolutionstribunals" versieht die politischen Morde
an "Verdächtigen" mit dem Schein von Legalität: eine auffallend
große Zahl von Frauen werden als politisch gefährlich verdächtigt.
Und Verdacht genügt, um sie als politische Verbrecherinnen zum Tode zu
verurteilen und sofort hinzurichten.
Im Sommer 1793 unter lächerlichem Vorwand verhaftet, wird Olympe de Gouges
monatelang in verschiedenen Revolutionsgefängnissen eingekerkert. Robespierres
verlängerter Arm, Fouquier-Tinville, macht wutschäumend kurzen Prozeß
mit der mutigen Kritikerin jeder Art von Tyrannei: Der Ankläger spricht
allen Ernstes von einem "Angriff auf die Souveränität des Volkes",
von Aufstachelung zum Bürgerkrieg "im Dienst der royalistischen Partei",
von Verleumdung der "Freunde und Verteidiger des Volkes" usf..
Die Angeklagte hat nicht einmal einen Pflichtverteidiger.
Das Todesurteil über die "politische Schwerverbrecherin" wird am 3. November
1793 auf dem "Platz der Revolution" vollstreckt.
Olympe de Gouges: MENSCH UND BÜRGERIN. "Die Rechte der Frau" (1791).
Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Hannelore Schröder.
Aachen 1995 (vergriffen)
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