Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit
Zum 260. Geburtstag von Olympe de Gouges
(7. 5.1748 - 3. 11. 1793)
Olympe de Gouges
Angesichts der um sich greifenden, immer grausameren Schändungen
der Menschen- und Bürgerinnenrechte der weiblichen Bevölkerungen
- schwere Körperverletzungen, Vergewaltigungen, Mädchen- und
Frauenhandel,
Foltern, Sexualsklaverei, Frauenmorde, Diskriminierungen und Entwürdigungen
- in Deutschland, der Europäischen Union, weltweit, ist es überaus
dringend, an die "Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin", 1791
verfasst von Mme de Gouges, zu erinnern. Selbst über 200 Jahre später
gibt es in der ganzen Welt kein einziges Land, dessen Verfassung und
Gesetze durch Vertreterinnen des weiblichen Volkes mitbestimmt sind.
Aus diesen Gründen - und aus Anlass ihres 260. Geburtstages - wird
das geschichtlich einmalige Dokument
hier (leicht gekürzt) erneut veröffentlicht:
Die Rechte der Frau
"Mann, bist du imstande gerecht zu sein? Es ist eine Frau,
die dir diese Frage stellt; dieses Recht wenigstens kannst du ihr nicht nehmen.
Sage mir, wer hat dir die souveräne Macht verliehen, mein Geschlecht
zu unterdrücken? Deine Körperkraft? Deine Talente? - Beobachte den
Schöpfer in seiner Weisheit; studiere die Natur in all ihrer Grösse
und
gib mir, wenn du es wagst, ein Beispiel für diese Tyrannei.*
Suche,
untersuche und unterscheide, wenn du das kannst, die Geschlechter in der Ordnung
der Natur. Überall findest du sie ohne Unterschied zusammen,
überall arbeiten sie in harmonischer Gemeinschaft an diesem unsterblichen
Meisterwerk.
Nur der Mann stümpert sich von der Ausnahme ein Prinzip zusammen. Bizarr,
blind, aufgeblasen von den Wissenschaften und degeneriert in diesem Jahrhundert
der Aufklärung und des Scharfsinns, in krassester Unwissenheit will er
als Despot über ein Geschlecht befehlen, das alle intellektuellen Fähigkeiten
besitzt
.
*Von Paris bis Peru, von Japan bis Rom ist das dümmste Tier, meiner
Meinung nach, der Mann.
Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin
Zu verabschieden von der Nationalversammlung in ihrer letzten Sitzung oder in der folgenden Legislaturperiode.
Präambel
Wir Mütter, wir Töchter, wir Schwestern, Repräsentantinnen
der Nation, fordern, Bestandteil der Nationalversammlung zu werden.
In Anbetracht dessen, dass Unwissenheit, Vergessen oder Missachtung der Rechte
der Frauen die alleinigen Ursachen des politischen Unglücks und der Korruption
der Regierungen sind, haben wir beschlossen, in einer feierlichen Erklärung
die natürlichen, unveräusserlichen und heiligen Rechte der Frau
festzulegen, auf dass diese Erklärung allen Mitgliedern des Sozialkörpers
(Frauen und Männer, H. S.) ständig vor Augen steht und sie ohne
Unterlass an ihre Rechte und Pflichten erinnert; auf dass die Machtausübung
von Frauen und Männern immer am Zweck aller politischen Institutionen
gemessen
wird; auf dass die Ansprüche der Bürgerinnen, fortan
auf einfache und unbestreitbare Prinzipien gegründet, immer die Erhaltung
der Verfassung, die guten Sitten und das Glück aller befördern.
In Konsequenz dessen, erkennt und erklärt das an Schönheit
und Mut im Ertragen der Mutterschaft überlegene Geschlecht, in Gegenwart
und unter den Auspizien des Höchstens Wesens (Vernunft, H. S.),
die folgenden Rechte der Frau und Bürgerin.
Erster Artikel
Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich an Rechten
II.
Der Zweck jeder politischen Vereinigung ist die Erhaltung
der natürlichen und unantastbaren Rechte der Frau und des Mannes: diese
Rechte sind Freiheit, Eigentum, (Rechts-)Sicherheit und vor allem
das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung.
III.
Das Prinzip aller Souveränität ruht wesentlich
in der Nation, die nichts anderes ist als eine politische Vereinigung von
Frauen und Männern: keine einzige Körperschaft, kein Individuum
kann Macht ausüben,
die nicht ausdrücklich daraus hervorgeht.
IV.
Freiheit und Gerechtigkeit bestehen in der Zurückgabe
all' dessen, was anderen gehört.
Also wird die Frau an der Ausübung ihrer natürlichen Rechte durch
die Schranken gehindert, die ihr die fortdauernde Tyrannei des Mannes entgegensetzt.
Diese Schranken müssen durch die Gesetze der Natur
und Vernunft ersetzt werden.
V.
Die Gesetze der Natur und Vernunft verbieten alle Handlungen,
die für die Gesellschaft (Frauen und
Männer, H. S.) schädlich sind: alles, was durch diese weisen und
göttlichen Gesetze nicht verboten ist, darf nicht verhindert werden,
und keine/r darf gezwungen werden zu tun, was die Gesetze nicht gebieten.
VI.
Das Gesetz muss Ausdruck des allgemeinen Willens sein: alle Bürgerinnen und Bürger müssen an der Gesetzgebung persönlich oder durch ihre Vertreterinnen/ Vertreter mitwirken. Das Gesetz ist das gleiche für alle: alle Bürgerinnen und Bürger, gleich in den Augen des Gesetzes, müssen gleichen Zugang haben zu allen Würden, Stellen und öffentlichen Ämtern, entsprechend ihren Fähigkeiten und ohne andere Unterschiede als die ihrer Tugenden und Talente.
VII.
Keine Frau ist davon ausgenommen; sie wird angeklagt, verhaftet und gefangen gehalten in den Fällen, die das Gesetz bestimmt. Frauen wie Männer gehorchen diesem rigorosen Gesetz.
VIII.
Das Gesetz darf nur Strafen verhängen, die strikt
und offensichtlich notwendig sind; alle dürfen nur
auf Grund eines geltenden Gesetzes bestraft werden, das vor der Übertretung
in kraft war
IX.
Alle Frauen werden in Übereinstimmung mit der Strenge des Gesetzes schuldig erklärt.
X.
Keine/r darf verfolgt werden wegen ihrer/seiner Meinung,
wie grundsätzlich auch immer;
die Frau hat das Recht das Schafott zu besteigen, sie hat gleichermassen
das Recht, die Tribüne zu besteigen, solange ihre Manifestationen die
öffentliche Ordnung, festgelegt durch das Gesetz, nicht stören.
XI.
Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der wertvollsten Rechte der Frau, da diese Freiheit die Legitimität der Väter hinsichtlich der Kinder sichert. Alle Bürgerinnen können in aller Freiheit sagen: ich bin Mutter eines Kindes, das von ihnen ist, ohne dass ein barbarisches Vorurteil sie zwingt, die Wahrheit zu verdunkeln
XII.
Die Garantie der Rechte der Frau und Bürgerin muss
dem allgemeinen Nutzen dienen. Diese Garantie
muss zum Vorteil aller eingeführt werden und nicht zum persönlichen
Nutzen derjenigen, denen die Garantie anvertraut ist.
XIII.
Für den Unterhalt der politischen Gewalten und die Kosten der Verwaltung sind die Beiträge der Frau und des Mannes gleich; hat die Frau Anteil an allen Lasten und Pflichten, dann hat sie auch gleichen Anteil bei der Verteilung der Stellen, Beschäftigungen, Dienste, Würden und Gewerbe.
XIV.
Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, selbst oder durch ihre Vertretung die Notwendigkeit der Steuererhebung festzustellen. Bürgerinnen können dem Prinzip, Steuern in gleicher Höhe zu zahlen, nur dann zustimmen, wenn sie gleichen Anteil nicht allein am Einkommen, sondern auch an der öffentlichen Verwaltung haben und Quoten, Verwendung, Einziehung und Zeitdauer der Steuern mitbestimmen.
XV.
Die Masse der Frauen, die gleich den Männern Steuern zahlt, hat das Recht, von allen öffentlichen Einrichtungen und ihrer Verwaltung Rechenschaft zu verlangen.
XVI.
Eine Gesellschaft, in der die Garantie der Rechte nicht
gesichert und die Teilung der Gewalten nicht festgelegt ist, hat gar keine
Verfassung.
Die Verfassung ist nichtig, wenn die Mehrheit der Individuen, aus denen die
Nation besteht, nicht an der Verfassungsgebung mitgewirkt hat.
XVII.
Das Eigentum gehört beiden Geschlechtern, gemeinsam
oder getrennt; jede Person hat darauf ein unverletzliches und heiliges Recht.
Keiner/keinem darf es als ein wahres Erbe der Natur geraubt werden, ausser
in Fällen politischer und gesetzlich festgestellter Notwendigkeit und
unter der Bedingung gerechter und im voraus festgesetzter Entschädigung.
Postambel
Frauen erwacht! Die Sturmglocke der Vernunft ist auf
der ganzen Welt zu hören;
Erkennt eure Rechte. Das mächtige Reich der Natur ist nicht mehr umgeben
von Vorurteilen, Fanatismus, Aberglauben und Lügen. Die Fackel der Wahrheit
hat alle Wolken der Dummheit und unrechtmässiger Besitzergreifung vertrieben.
Der versklavte Mann hat seine Kräfte vervielfacht. Er hat eurer Kräfte
bedurft, um seine Ketten zu brechen.
Nun er frei ist, ist er ungerecht gegen seine Gefährtin.
O Frauen! Frauen, wann hört ihr auf, blind zu sein? Was sind die Vorteile,
die ihr in der Revolution gewonnen habt? - Ihr werdet noch mehr verachtet,
noch mehr verhöhnt
.Was bleibt euch noch? Die Überzeugung von
der Ungerechtigkeit des Mannes, die Ansprüche auf euer Erbteil, die auf
den weisen Gesetzen der Natur beruhen
.Befürchtet ihr, dass unsere
französischen Gesetzgeber, Verbesserer der (katholischen, H. S.) Moral,
die sich lange Zeit in allen Zweigen der Politik eingenistet hatte, aber heute
keinen Platz mehr hat, wiederholen könnten: Frauen, was gibt es Gemeinsames
zwischen euch und uns? - Alles, müsst ihr darauf antworten.
Wenn sie in ihrer Schwäche trotzig in ihrer Inkonsequenz verharren, im
Widerspruch mit ihren eigenen Prinzipien, dann setzt mutig die Kraft der Vernunft
den eitlen Ansprüchen auf Überlegenheit entgegen. Vereinigt euch
unter dem Banner der Philosophie, entfaltet eure Charakterstärke, und
bald werdet ihr diese grössenwahnsinnigen, nicht ergebenen Anbeter zu
euren Füssen haben, nun aber stolz, die Schätze der Vernunft mit
euch zu teilen. Was immer die Barrieren sind, die man euch in den Weg stellt,
es ist in eurer Macht, euch zu befreien. Ihr müsst es nur wollen.
Kommen wir nun zu der schrecklichen Bild eurer Situation in der (alten) Gesellschaft
Auferlegte
Zwänge und Heimlichkeiten waren ihr (der Frauen) Teil. Was Frauen mit
nackter Gewalt entrissen war, haben sie mit List zurückgenommen. Sie
haben alle Mittel ihres Charmes eingesetzt, und der ehrenwerteste Mann konnte
ihnen nicht widerstehen.
Gift, Waffen, alles stand ihnen zu Diensten. Sie befahlen dem Verbrechen und
der Tugend. Jahrhundertelang war die französische Regierung abhängig
vom nächtlichen Einfluss der Frauen. Alle Geheimnisse des Kabinetts kamen
so in die Hände von Frauen: Botschaft, Kommando, Ministerien,
Präsidentschaft, Pontificat, Kardinalamt, kurz alles, was die Narretei
der Männer charakterisiert, sei es auf weltlichem oder kirchlichem Gebiet;
alles war der Begierde und dem Ehrgeiz dieses Geschlechts unterworfen, ein
Geschlecht, früher verachtenswert, aber respektiert und seit der Revolution
respektabel, aber verachtet.
Viele Bemerkungen könnte ich über diese Art von Antithesen machen.
Ich habe nur einen Augenblick, aber dieser wird die Aufmerksamkeit der Nachwelt
bis in die fernste Zukunft erregen.
Unter dem ancien regime waren alle lasterhaft, alle schuldig. Doch konnte
man nicht im Kern des Lasters selbst eine Verbesserung der Zustände aufglimmen
sehen?
Der Frauenhandel war eine Art Unternehmung, die in die höchsten Kreise
Eingang fand, die von jetzt an
kein Ansehen mehr haben. Wenn der Frauenhandel fortbesteht, ist die Revolution
für uns verloren, und unter
neuen Vorzeichen sind wir noch immer die Korrumpierten. Kann die Vernunft
wirklich leugnen,
dass der Frau jeder andere Weg verschlossen ist, um Einkommen zu erwerben;
die Frau wird vom Mann gekauft wie ein Sklave an der Küste von Afrika.
Der Unterschied ist gross, das weiss man. Die Sklavin befiehlt ihrem Herrn.
Doch wenn der Herr ihr ohne Entschädigung die Freiheit gibt, oder in
einem Alter, da die Sklavin all' ihren Charme verloren hat, was geschieht
dann mit dieser Unglücklichen? Sie ist ein Gegenstand der Verachtung.
Selbst die Türen des Armenhauses bleiben ihr verschlossen. Eine arme,
alte Frau, sagt man. Warum hat sie ihre Chancen verspielt?
Ich kann auch noch andere Beispiele nennen. Ein unerfahrenes Mädchen,
verführt von einem Mann, den sie liebt, wird ihre Eltern verlassen, um
ihm zu folgen. Der Undankbare verlässt sie nach ein paar Jahren. Seine
Treulosigkeit ist um so unmenschlicher, je älter sie mit ihm geworden
ist. Hat sie Kinder, verlässt er sie trotzdem. Ist er reich, fühlt
er sich nicht verpflichtet, sein Vermögen mit seinen edlen Opfern zu
teilen. Hat er Verpflichtungen auf sich genommen, bricht er sein Wort - und
hat das Gesetz auf seiner Seite. Ist er verheiratet, dann verliert jede
andere Verpflichtung ihr Recht.
Welche Gesetze müssen gemacht werden, um das Übel bei der Wurzel
zu packen? Gesetze, die die Teilung des Eigentums zwischen Männern
und Frauen regeln und deren Einhaltung garantieren.
Es ist leicht zu sehen, dass diejenige, die eine Mitgift mitbringt bei gleicher
Teilung des Eigentums besser dasteht. Aber was ist das Los eines verdienstlichen
und tugendhaften Mädchens aus armer Familie? Armut und Schande. Ist sie
in Musik oder Malerei nicht höchst brillant, dann ist ihr jede öffentliche
Ausübung verschlossen, auch wenn sie alle Fähigkeiten dafür
besitzt
.
Kommen wir zurück auf die Frage der Sitten. Die Ehe ist das Grab des
Vertrauens und der Liebe.
Eine verheiratete Frau kann ihrem Mann ungestraft Bastarde schenken
und diesen ein Erbteil, das ihnen nicht zukommt. Eine unverheiratete Frau
hat kaum Rechte: alte und unmenschliche Gesetze verweigern ihr das Recht,
zu Gunsten ihrer Kinder Ansprüche auf Namen und Erbteil der Väter
geltend zu machen, und neue Gesetze sind noch nicht gemacht.
Wenn man meint, dass mein Versuch, meinem Geschlecht eine ehrenwerte
und gerechte Existenzgrundlage zu geben zu diesem Zeitpunkt als Paradox betrachtet
wird, als ob ich etwas Unmögliches wolle, dann überlasse ich es
dem Ruhm zukünftiger Männer, diese Materie zu behandeln. Aber inzwischen
kann die Sache durch die nationale Erziehung, die Wiederherstellung der Sitten
und durch verbindende Verträge vorbereitet werden
Form eines Gesellschaftsvertrages zwischen Mann und Frau
Wir, N. und N., gehen aus eigenem Willen eine Verbindung
auf Dauer unseres Lebens und unserer gegenseitigen Zuneigung ein, und
zwar unter den folgenden Bedingungen:
Wir wollen unser Eigentum zusammenfügen und gemeinschaftlich verwalten;
wir behalten uns das Recht vor, es zu Gunsten unserer gemeinsamen Kinder zu
verteilen;
und zu Gunsten von Kindern, die einer besonderen Zuneigung entspringen;
wir anerkennen gegenseitig, dass unser Eigentum direkt unseren Kindern zukommt,
aus welcher Verbindung sie auch hervorgehen, und dass sie alle ohne Unterschied
das Recht haben, den Namen der Väter und Mütter zu tragen, die sie
als ihre Kinder anerkannt haben;
Wir unterschreiben das Gesetz, das das Verleugnen des eigenen Blutes bestraft.
Wir verpflichten uns gleichermassen im Falle von Scheidung, unser Eigentum
zu teilen, nachdem daraus die Anteile der Kinder, wie vom Gesetz bestimmt,
sichergestellt sind.
In einer perfekten Verbindung wird im Todesfalle jede/jeder die Hälfte
ihres/seines Eigentums den Kindern vererben.
Wer kinderlos stirbt, vererbt der/dem Überlebenden von rechtswegen alles,
es sei denn, die/der Verstorbene hat testamentarisch bestimmt, dass die Hälfte
des gemeinsamen Eigentums einer dritten Person zukommt.
Das sind ungefähr die Klauseln des freiwilligen Vertrages, den ich zur
Ausführung vorschlage
."
Copyright 2008 by Hannelore Schröder
Zur Erläuterung des obigen Quellentextes siehe
Teil II, Feministische Aufklärung.
In: Hannelore Schröder: Menschenrechte für weibliche Menschen. Aachen
2000.
Abbaye de St. Germain des Pres: Revolutionsgefängnis, in dem viele Frauen gefangen gehalten wurden, unter ihnen Mme Roland und Mme de Gouges
© 2006-2018 Hannelore Schröder | Sitemap | Datenschutz | | Stand: 01.06.2018